"Das grosse Heft" in Aalen : Archiv Theater Aalen

„Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza,
Theater der Stadt Koblenz, Januar 2010

„Die Koblenzer Realisation durch Regisseurin Andrea Udl und das vierköpfige Ensemble ist über drei Viertel des Abends ein Hingucker, ebenso Lachen machend wie erhellend. Leise und filigran werden die ständig variierenden Verwerfungen innerhalb des Quartetts in genau portionierte Blicke, Gesten, Betonungen übersetzt. Die Wechsel zwischen gezügelt und entfesselt aggressiver Atmosphäre reihen sich zu einem stimmigen großen Eskalations- Bogen.

Erst scheinen sich die Vier über die Verteilung von  Täter- und Opferrolle bei den Söhnen einig. Dann zerreißen kleine Einwände die Einigkeit wieder, fördert der Disput zusehends Lebenslügen bei jedem der Ehepaare zutage.  Katja Thiele geht als Mutter Houillé mit pädagogischem Sendungsgeist allen auf die Nerven. Ebenso Vater Reille (Gerold Ströher) mit seiner Handy-Telefonitis – worüber seine verhärmt-misanthropische Gattin (Tatjana Hölbing) buchstäblich das Kotzen kriegt. Ihn interessiert das Kinder-Gedöhns eigentlich gar nicht, weil er einen Pharmaskandal zu managen hat.

Angelpunkt im Koblenzer Spiel ist der Vater Houillé.  So zurückgenommen wie Olaf Schaeffer  hier agiert, entfaltet er eine Brillanz, die dem Quartett Rhythmus und Dynamik vorgibt.“
Andreas Pecht, 11. Januar, Rhein-Zeitung

„Die Schneekönigin“ nach HC Andersen, Fassung Andrea Udl und Maria Schneider
Stadttheater Augsburg, November 2008

(...) Die Inszenierung von Andrea Udl katapultiert die Geschichte vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart. (...) Das alles ist gut inszeniert, immer wieder sind ganze Passagen wörtlich aus dem Oruiginal übernommen. Dort, wo freier mit der Vorlage umgegangen wird, herrscht keine Willkür. Und zum Schluss wird die Aussage, wie man anständig erwachsen wird, wunderbar ins Jetzt übersetzt. Als sie sich wiederhaben, Kai und Gerda, wird wieder so überdreht herumgetollt wie zu Beginn. Die Kindheit endet nie.
Augsburger Allgemeine, 1.12.2008, Richard Mayr

Ganz schön viele Torten“ nach Toon Tellegen, Fassung Andrea Udl und Matthias Grön
Staatstheater Oldenburg, April 2008

(...) Zwischen Ameise und Eichhorn entwickelt sich eine turbulente Geschichte, die in witzig-naiver Art und Weise scheinbar kinderleichte Fragen stellt. (...) Mit trockenem Humor und gelungenen Slapstickeinlagen schaffr es das Stück, auch ernste Themen wie das „Vermissen“ zu vermitteln, ohne den Zeigefinger zu heben. Mit Leichtigkeit verbannt die äußerst sympathische Inszenierung die Welt ausserhalbd der Theatermauern aus den Köpfen der Zuschauer, um in der Abschlussszene besonders rührend zu zeigen, was Freundschaft bedeutet. Eine wirklich gelungene Umsetzung der Kinderbpcher des Niederländers Toon Tellegen.
Diabolo, 28.4. 2007, Robert Niemeyer



„Das grosse Heft“ nach Agota Kristof, Fassung Andrea Udl
Theater der Stadt Aalen, März 2005

Überwältigend ist tatsächlich, was die Aalener unter der Regie von Andrea Udl aus der Romanvorlage gemacht haben. Wie unter dem Mikroskop beobachtet die Inszenierung die Entwicklung eines Zwillingspärchens während eines Krieges; draußen in der kleinen Stadt, bei der Großmutter, wohin sie ihre Mutter vor den Fliegerbomben in Sicherheit gebracht hat. Die Beobachtung wird fokussiert durch den Blick der Kinder, die alles, was sie erleben, aufschreiben. In das große Heft. Darin hat nur Bestand, was wahr ist.

Katja Bramm und Wenzel Banneyer verkörpern in ihren von Lisa Klammer entworfenen braunen Einteilern nicht nur die Zwillinge sondern auch alle andern Figuren dieser bedrückenden Erzählung mit faszinierender Intensität. Ihre eigentliche Kunst besteht indes darin, dabei immer Distanz zu wahren und so die Bilder im Bewusstsein des Betrachters einzufrieren. Sie setzen die seziermesserscharfe Präzision des Textes entsprechend diszipliniert um. Im Gleichmaß der Zwillingsbewegung ebenso wie im blitzschnellen Rollenwechsel.
Schwäbische Post, 7.3. 2005, Wolfgang Nussbaumer

„Escape“ von Rainer Lewandowski, Uraufführung
Thalia Theater Hamburg, Januar 2004,
WA im Mai 2010, deutsches Theater Berlin

Leise Töne

Die unlösbare Frage nach Mitschuld stellt "Escape",
die für Schulen gedachte Produktion des Thalia Theaters
(...)
Regisseurin Andrea Udl setzt auf leise Töne, hält den Spieler mit leichter Hand auf einem Grat zwischen freundlicher, fast kumpelhafter Nähe zu den Schülern und selbstzweiflerischer Verlorenheit. Der lautstarke Ausbruch einer Identifikation mit Jans Phantasien unter der Maske hallt besonders stark nach, da der Vortrag sonst auf Showeffekte verzichtet. Und wurden noch vor wenigen Jahren im Jugendtheater die Gewalttäter gerne selbst abgebildet - wie in Klassenfeind von Nigel Williams oder Gewalt im Spiel vom Theater Rote Grütze - betritt hier lediglich ein Zeuge die Bühne. Stellvertretend für uns fragt er nach Mitschuld. Der Täter also erscheint bereits nur noch in seiner Rezeption. Die Optik wendet sich weg von den gesellschaftlichen Ursachen, hin zur individuellen Bedingtheit und Verfassung. Und damit ist das Stück um den Amokschützen, dessen Tat wenig spektakulär ist, mit seiner mikrokosmologischen Betrachtung im Klassenzimmer genau richtig aufgehobenEscape kann für eine oder zwei 7. bis 10. Klassen gebucht werden.
taz Hamburg Nr. 7273 vom 2.2.2004, Oliver Törner


ZWISCHEN IDEALISMUS UND MARKETING
Von der Realität des freiberuflichen „Wanderregisseurs“
in: „Die deutsche Bühne“, 2006
(...) Stendal im nördlichen Sachsen-Anhalt, nur eine knappe Zugstunde von Berlin entfernt. Die putzig renovierte Altstadt kaschiert nur notdürftig die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Region. Ein Großteil der 37000 Einwohner lebt von Hartz IV. Kein einfacher Ort, um hier Theater zu machen. „Es ist ein Kampf an vorderster Front“, sagt Andrea Udl, die gerade als freie Regisseurin am Theater der Altmark arbeitet. Fernab der Theatermetropolen schlägt sich das Haus mit finanziellen Problemen herum, ständig von der bevorstehenden Schließung bedroht und vom überregionalen Feuilleton ignoriert. Der Spielplan ist ein Kompromiss zwischen publikumswirksamer leichter Kost und dem Versuch, auch anspruchsvollere Werke zu zeigen. Die Österreicherin, Jahrgang 1975, die nach drei Jahren Assistenz am Hamburger Thalia Theater mittlerweile zum dritten Mal hier arbeitet, weiß, dass es in Stendal für unkonventionelle oder experimentelle Formen kein Publikum gibt: „Man muss schon einen Schritt auf die Leute zu tun. Aber man muss eben aufpassen, dass man dabei nicht zu ungefährlich wird. Und diese Wachsamkeit zu behalten, ist wirklich schwierig.“ Ihre Inszenierung des Kinderstücks „Mensch Mädchen“ zeigt, dass ein solcher Kompromiss gelingen kann. 1975 am Berliner Gripstheater uraufgeführt erzählt es von drei Mädchen und einem Jungen, die sich gegen die starren Geschlechterrollen der Gesellschaft auflehnen. Andrea Udl hat den stark ideologisierten Text in die Gegenwart hinübergerettet und schafft mit ihren jungen Schauspielern ein frisches und unmittelbares Spiel, das weit über die bloße Illustration von Thesen hinausgeht. Auch wenn die Inszenierung immer wieder bleischwere Lehrsätze wie „Auch Mädchen dürfen furzen.“ abliefern muss, gelingt es ihr, sich von der allzu papiernen Vorlage zu lösen. Im Schlussbild, wenn die vier Protagonisten auf einem selbst gebastelten Piratenschiff davon segeln, blitzt sogar ein Funken anarchischer Poesie auf. (...)
Die deutsche Bühne, 2006, Frank Weigand